Dezember 2010

Morgens halb 10 in Deutschland. „Tuut tuut tuut“ höre ich draußen eine Alarmanlage. Ich trete auf den Balkon und sehe unten auf dem Parkplatz ein großes, teures Auto. Das blinkt wie ein UFO und gibt ein furchtbares Alarmgebrüll von sich. Auf den umliegenden Balkonen stehen bereits andere Menschen, gehen aber schnell wieder hinein. Auch ich gehe wieder hinein, denn es ist ein kühler, wenn auch sonniger Herbsttag. Die Alarmanlage aber geht weiter und weiter. Ich bin genervt und denke: Wenn es in 5 Minuten immer noch tuutet, dann rufe ich die Polizei. 5 Minuten später tutet es immer noch, und ich rufe die Polizei. Vom Balkon aus warte ich und schaue auf das wie verrückt blinkende Auto. Noch bevor die Polizei kommt, erscheint ein aufgeregter Mann, fuchtelt wild mit seinem Schlüssel herum – man sieht ja immer häufiger Menschen, die ihren Autoschlüssel wie einen Zauberstab in unbestimmte Fernen richten, wo dann tatsächlich ein Auto aufblinkt. Genauso erscheint also dieser aufgeregte Mann, zielt immer wieder mit seinem Schlüssel auf das Auto, aber der Alarm hört nicht auf. Er rennt um das Auto herum, reißt sämtliche Türen und Klappen auf, schließt sie wieder und wiederholt den Vorgang. Zwischendurch versucht er es noch einmal mit ein paar gezielten Schüssen aus seinem Zauberschlüssel. Nach ein paar Minuten gibt die Alarmanlage endlich auf. Erleichtert verschwindet der Mann in einem benachbarten Gebäude. Dann kommt auch schon die Polizei. Ich gehe rasch hinunter und schildere, was ich gesehen habe, dass es vermutlich nur eine defekte Alarmanlage war und wahrscheinlich kein Verbrechen vorliegt. Ob ich angerufen habe, werde ich gefragt. Ich bestätige und frage, ob ich denn der Einzige war der angerufen hat, immerhin standen ganz viele Menschen auf den Balkonen. Einige Kunden des kleinen Einkaufszentrums hatten den Alarm sicher auch mitbekommen. Nein, ich wäre der einzige Anrufer gewesen, was mich wundert. Hätte ich nicht die Polizei angerufen, dann hätte niemand es
getan, und das nach über 5 Minuten ohrenbetäubendem Alarm. Ich frage mich: Was nützt eine Alarmanlage, die alle nur nervt, aber niemanden alarmiert? Sicherheitstechnik hat häufiger ihre Macken. Sicherer macht sie uns allerdings selten. Die zunehmenden Überwachungskameras in der Stadt verunsichern mich eher, obwohl sie doch eigentlich unserer Sicherheit dienen sollen. Und das nicht unbedingt, weil ich es unangenehm finde, überall gefilmt zu werden, sondern weil die Hälfte von ihnen kaputt ist. Nicht zu wissen, ob ich gerade gefilmt werde oder nicht, das verunsichert mich.
Auch im Straßenverkehr schafft vieles Verunsicherung, was angeblich der Sicherheit dient. Man will als Fußgänger bei grün eine Straße überqueren und wird beinahe von rechtsabbiegenden Autos überfahren, die auch grün haben. Zum Glück bin ich schon lange in Mainz beheimatet und kenne mich sowohl zu Fuß, als auch mit dem Fahrrad oder dem Auto aus. Noch viel verrückter finde ich die Menschen, die an der Kreuzung stehen und nur noch auf die Ampel schauen. Bei grün gehen sie dann los, ohne auch nur einmal um sich zu blicken. Diese Menschen stehen oft minutenlang an einer völlig unbelebten Kreuzung, starren gebannt auf das Ampelmännchen und gehen bei grün los, während plötzlich von rechts abbiegende Autos heranbrausen. „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“, dieser Spruch stammt angeblich von Lenin. Nun wird klar, warum der sowjetische Sozialismus scheitern musste – je mehr man kontrolliert, desto unkontrollierbarer wird alles. Je mehr Sicherheitstechnik im Einsatz ist, desto mehr Unsicherheitsfaktoren werden dadurch geschaffen. Und auch der biometrische Personalausweis wird uns nicht weiterbringen. Wenn eine Alarmanlage tutet, denken trotzdem alle nur: Bääh, wie nervig, hoffentlich hört das Getute bald auf. Und ich werde wieder mal der Einzige sein, der die Polizei rufen wird …

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