Ich dachte, dass ich der Apostrophitis gelassen begegnen könne, seitdem ich vor ein paar Jahren Dr. Oetker gezwungen habe, „Paula‘s Pudding“ in „Paula“ umzubenennen. Apostrophitis ist, wie Sie, lieber Leser, sicher wissen, eine linguistische Zwangserkrankung, die deutsch schreibende Menschen zwingt, vor jedes zweites ein Apostroph zu setzen. Angefangen hat alles ganz harmlos mit einem falschen Genitiv-s-Apostroph, das im Englischen übrigens korrekt ist. „McDonald‘s“ hat unser Schriftbild komplett verändert, seitdem gibt es „Axel‘s Treff“ oder „Sonja‘s Imbiss“. In diese Rubrik fiel auch Dr. Oetkers Pudding, der erst „Paula‘s Pudding“ hieß, nach einer Beschwerdeflut meinerseits aber umbenannt wurde und nun nur noch „Paula“ heißt. Nun ist es nicht schlimm, wenn sich bei Axel ausschließlich Analphabeten treffen. Viel bedenklicher finde ich da „Wohlthat‘s Buchhandlung“. Von einer Buchhandlung kann ich schon Rechtschreibkenntnisse erwarten. Nach dem Genitiv-s-Apostroph erschien der Plural-s-Apostroph. Es gibt „Auto‘s“, am besten sogar „VW‘s“ – ein Mainzer Autohändler hatte das ganz groß auf seiner Scheibe stehen, ohne zu wissen, dass VW die Abkürzung für Volkswagen ist – oder er hat geglaubt, der Plural von Wagen wäre Wagens. Sehr amüsant finde ich auch Pizza-Pepes „Pizza‘s“ als Plural von Pizza. Und erst gestern habe ich in der Mainzer Neustadt das „New‘s Café“ entdeckt, wohlgemerkt mit einem Accent statt dem ohnehin falschen Apostroph. Schwer erkrankte Apostrophiker gehen noch weiter und setzen vor jedes nur denkbares ein Apostroph. Ob „morgen‘s“ oder „abend‘s“, „alle‘s“ oder „nicht‘s“, „link‘s“ oder „recht‘s“ – kaum ein s ist vor der sinnlosen Abtrennung vom restlichen Wort mehr sicher. Warum die Apostrophiker diese vielen idiotischen Apostrophe setzen müssen ist noch weitgehend unerforscht. Noch mysteriöser ist, warum überdurchschnittlich viele Apostrophiker professionelle Schilder anfertigen, für Gaststätten oder Ladengeschäfte. Therapieangebote für an Apostrophitis Erkrankte fehlen noch vollständig. Eine Zeitlang habe ich darüber nachgedacht, eine therapeutische Praxis für Apostrophitis-Opfer zu eröffnen, wozu habe ich mir diesen proletarischen Doktortitel zugelegt, bis mir klar wurde, dass die Erkrankten gar nicht leiden, sondern nur diejenigen, die sich von einem professionell gearbeiteten Kneipenschild voller Rechtschreibfehler provoziert fühlen. So stehe ich also der Apostrophitis machtlos gegenüber. Nun habe ich eine erschreckende, neue Variante entdeckt, das Plural- s-Komma! Ein Musikgeschäft in Mainz verkauft doch tatsächlich „CD,s“! Nun ist ein Plural-s-Komma nicht verkehrter als ein Plural-s- Apostroph, dennoch stellt sich mir die Frage, ob nun mit weiteren sinnwidrigen Kommata oder „Komma‘s“, also „Komma,s“, zu rechnen ist. Handelt es sich nur um eine Variante der Apostrophitis oder ist womöglich nur die entsprechende Taste am Laptop defekt gewesen? Oder gibt es eine vollständig neue Krankheit, bei der zwanghaft Kommata oder meinetwegen auch Kommas gesetzt werden?
Seien Sie gewarnt, lieber Leser, nehmen Sie das Phänomen nicht auf die leichte Schulter! Sonst halten Sie irgendwann statt des sensors den „sen‘sor“ oder den „sen,sor“ in Ihren Händen, und das wollen Sie bestimmt nicht. Und wenn sich die idiotischen Apo‘strophe noch mit den verrückten Komma,s vermischen, dann werden Sie wahn,sinnig, wenn er‘st jeder Buch,stabe davon erfa‘s,s‘t wird, bis nich,t‘s me,hr le‘s,ba‘r i‘s,t, n,u,r n‘o,c‘h A‘‘‘s,‘,,,‘‘,t‘r,,,‘‘s‘‘‘k ,o‘,,‘,‘‘‘‘‘‘!!!!! Vielleicht sollte ich doch nochmal über die Eröffnung einer lyriktherapeutischen Praxis nachdenken …
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März 2011
Februar 2011
Dienstags im Mainzer Hauptbahnhof: Vor mir auf der Rolltreppe steht ein Mädchen, oder vielleicht sollte ich besser sagen eine junge Frau, deren Rucksack genau vor meinem Gesicht baumelt. Darauf ein Anstecker – auf neudeutsch Button – mit einer lächelnden roten Sonne auf gelbem Grund. Rundherum ein Schriftzug. „Atomkraft – nein danke“ denke ich, aber der Rucksack hängt so nahe vor meinem Gesicht, dass ich es genauer lese, und da steht doch tatsächlich: „Montags gegen Atomkraft“. Komisch, denke ich, heute ist doch Dienstag, und frage mich wofür oder wogegen die junge Frau heute ist. Das Thema ist heikel, denn wenn man progressiv sein und es sich bei seinen Freunden nicht verscherzen will, dann muss man gegen Atomkraft sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob man etwas von Physik versteht, ob man Ahnung von Elektrotechnik hat oder weiß, was eine Grundlast ist. Man ist dagegen, weil sich das so gehört, und weil man dann dazugehört. Ich möchte natürlich nicht meine Freunde verärgern, die montags zur Demonstration gehen und alljährlich ins Wendland fahren, um gegen die Castor-Transporte zu protestieren. Dennoch verwirrt es mich, dass dieses „Montags gegen Atomkraft“ nun zum offiziellen Schlagwort der Bewegung geworden ist. Haben die denn dienstags frei? Oder sind sie dienstags für Atomkraft? Oder dienstags gegen etwas anderes, etwa Tierversuche oder pränatale Diagnostik? Und was ist mit den anderen Wochentagen? Wir nehmen diese Schlagworte so hin und merken gar nicht, wie sehr sie den eigentlichen Inhalt in Frage stellen. Ich muss sofort an den Wer- bespruch einer bekannten Schokoladenmarke denken: quadratisch, praktisch, gut. Was soll das? Schokolade, die praktisch ist, kann eigentlich nicht gut schmecken. Trotzdem hat sich dieser Spruch durch die Gehirnwäsche der Werbeindustrie so eingebrannt, dass wir gar nicht mehr auf die Idee kommen, praktische Schokolade sonderbar zu finden. Nun ist Schokolade etwas ganz unverfängliches. Die einen mögen sie, die anderen bekommen davon Zahnschmerzen oder vertragen sie aus gesundheitlichen Gründen nicht. Für eine politische Diskussion taugt das Thema nicht, und man hat nicht mit Diskriminierung zu rechnen, wenn man in einer Gruppe von Schokoladen-Liebhabern sagt, dass man Schokolade nicht mag. Und wer sie mag, der nimmt auch in Kauf, dass sie vielleicht praktisch ist. Ganz anders verhält es sich mit Atomkraft. Ich habe es getestet und in einer Gruppe von Atomkraftgegnern gesagt, dass ich nicht gegen Atomkraft bin. Alle haben mich entsetzt angestarrt, als wäre ich der Teufel in Person. Ich habe noch nicht einmal gesagt, dass ich dafür bin. Selbst mit einer neutralen Haltung wird man bereits zum politischen Gegner. Dabei fällt es mir tatsächlich schwer, einen Standpunkt einzunehmen. Ich weiß nichts über Atomphysik. Völlig unklar ist mir auch, welche chemischen Elemente waffenfähig sind und welche nicht, und vor allem warum. Also bleibe ich lieber neutral, denn die eine Seite sagt dies und die andere das Gegenteil, und ich kann jeweils nur sagen: ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist die Haltung ja doch ganz praktisch, montags gegen Atomkraft zu sein. Damit mache ich mich bei meinen Freunden nicht unbeliebt und den Rest der Woche habe ich frei. Die Zeit kann ich nutzen, um Bücher über Atomphysik zu lesen, oder herausfinden, ob praktische Schokolade wirklich nicht schlechter schmeckt als unpraktische. Allerdings – und jetzt laufe ich wirklich Gefahr, mich sehr unbeliebt zu machen – sind mir die Menschen immer noch lieber, die von Montag bis Sonntag zu ihrer Meinung stehen, egal ob sie nun für oder gegen Atomkraft sind. Und ich wünsche mir, dass die Anti-Atomkraft-Bewegung wieder zu ihrem alten Logo mit dem bewährten Schriftzug zurückkehrt – „Atomkraft – Nein Danke“ – denn der lässt eine ehrliche und konsequente Meinung wenigstens vermuten.
Januar 2011
Bei einem Schaufensterbummel bleibe ich vor einem Schuhgeschäft stehen. Große Hinweisschilder mit der Aufschrift „reduziert“ wollen zum Kauf anregen und bei mir funktioniert sowas auch, also schaue ich mir interessiert die Auslage an. Die Schuhe sind mir allerdings zu teuer, so dass ich mich frage, was mit „reduziert“ gemeint sein könnte, da es sich wohl nicht auf den Preis bezieht. Wahrscheinlich sind nicht die Preise reduziert, sondern etwas anderes, vielleicht die Anzahl der Schuhe oder die Verpackung. Ich bin mit merkwürdigen Begriffen leicht zu verwirren. „Reduziert“ heißt so viel wie „verringert“. Entsprechend sind reduzierte Waren einfach verringerte Waren. Da ich aber keine verringerten Waren haben möchte, sondern vollständige, löst das bei mir eine gewisse Skepsis aus. Andere Worte, mit denen Waren angepriesen werden, sind noch verwirrender. Die meisten Lebensmittelläden führen inzwischen eine eigene Serie mit „Bio-Produkten“. Man kann sich entscheiden zwischen Karotten und Bio-Karotten, aber ich frage mich, was eine Bio-Karotte sein soll. Bio war in meiner Schulzeit die Abkürzung für Biologie, die Lehre vom Leben. Sind Bio-Karotten also Biologie-Karotten? Oder biogenetisch veränderte Karotten? Und was ist mit den Karotten, die nicht „bio“ sind, sind die tot? Ebenso unklar ist die Abkürzung „öko“. Es gibt immer mehr Öko-Produkte, aber was ist damit gemeint? Ich vermute, dass zumindest bei einigen Dingen mit öko ökonomisch gemeint ist, wahrscheinlich im Sinne der Hersteller und Händler, die sehr ökonomisch damit sehr viel Geld verdienen wollen. Tatsächlich habe ich mal, noch Ende der 80er, also vor der „Öko-Welle“, in einem Betrieb gearbeitet, der „Öko-Produkte“ vertrieben hat und damit besonders ökonomische Dinge meinte, zum Beispiel gab es einen Öko-Bleistiftspitzer, mit dem sehr schnell und effektiv Bleistifte angespitzt werden konnten. Die ganze Öko-Bio-Welle treibt auch sonst absonderliche Blüten. Auf der Packung der Milch, die ich immer kaufe, steht: traditionell hergestellt. Als ich das zum erstenmal las, bekam ich noch im Laden einen Lachkrampf, weil ich mir eine besonders traditionsbewusste Kuh vorstellte, deren traditioneller Euter ein wenig schaukelt, die noch die Kuhglocke ihrer Urgroßmutter trägt und deren politische Ansichten eher konservativ sind. Mit Begriffen sind wir ganz schnell um den Verstand zu bringen, weil wir uns nichts mehr darunter vorstellen können oder ein völlig falsches Bild vor Augen haben. So gibt es seit einiger Zeit Kaffee zu kaufen, der „karamellisiert“ ist. Ich sah sofort edle, teure Karamellbonbons vor mir, die man dem Kaffee beigefügt hat, um ihn zu veredeln. Sofort kaufte ich eine Packung. Dass Karamell einfach nur Zucker ist, dass also karamellisierter Kaffee mit billigem Zucker gepanschter Kaffee ist, wurde mir erst zu Hause klar. Dass dieser reduzierte Kaffee den Hersteller nur die Hälfte kostet, ist dann besonders öko im Sinne von ökonomisch. Man sollte die Werbung wirklich häufiger wörtlich nehmen. Während ich dies schreibe, läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren, und überall bieten die Läden „Geschenke“ an. Ich sollte doch wirklich einmal in solch einen Laden gehen, mich artig für die Geschenke bedanken und einfach alles mitnehmen. Wenn ich dann wegen Ladendiebstahls vor Gericht stehe, zücke ich den Duden und verweise darauf, dass Geschenke grundsätzlich kostenlos sind und deshalb von Diebstahl keine Rede sein kann. Ich fürchte aber, dass die juristischen Begriffe, die ich dann zu hören bekomme, mich so durcheinander bringen, dass ich ein leichtes Opfer für die Justiz bin. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern möglichst keinen Rutsch und ein nicht reduziertes Jahr 2011!
Dezember 2010
Morgens halb 10 in Deutschland. „Tuut tuut tuut“ höre ich draußen eine Alarmanlage. Ich trete auf den Balkon und sehe unten auf dem Parkplatz ein großes, teures Auto. Das blinkt wie ein UFO und gibt ein furchtbares Alarmgebrüll von sich. Auf den umliegenden Balkonen stehen bereits andere Menschen, gehen aber schnell wieder hinein. Auch ich gehe wieder hinein, denn es ist ein kühler, wenn auch sonniger Herbsttag. Die Alarmanlage aber geht weiter und weiter. Ich bin genervt und denke: Wenn es in 5 Minuten immer noch tuutet, dann rufe ich die Polizei. 5 Minuten später tutet es immer noch, und ich rufe die Polizei. Vom Balkon aus warte ich und schaue auf das wie verrückt blinkende Auto. Noch bevor die Polizei kommt, erscheint ein aufgeregter Mann, fuchtelt wild mit seinem Schlüssel herum – man sieht ja immer häufiger Menschen, die ihren Autoschlüssel wie einen Zauberstab in unbestimmte Fernen richten, wo dann tatsächlich ein Auto aufblinkt. Genauso erscheint also dieser aufgeregte Mann, zielt immer wieder mit seinem Schlüssel auf das Auto, aber der Alarm hört nicht auf. Er rennt um das Auto herum, reißt sämtliche Türen und Klappen auf, schließt sie wieder und wiederholt den Vorgang. Zwischendurch versucht er es noch einmal mit ein paar gezielten Schüssen aus seinem Zauberschlüssel. Nach ein paar Minuten gibt die Alarmanlage endlich auf. Erleichtert verschwindet der Mann in einem benachbarten Gebäude. Dann kommt auch schon die Polizei. Ich gehe rasch hinunter und schildere, was ich gesehen habe, dass es vermutlich nur eine defekte Alarmanlage war und wahrscheinlich kein Verbrechen vorliegt. Ob ich angerufen habe, werde ich gefragt. Ich bestätige und frage, ob ich denn der Einzige war der angerufen hat, immerhin standen ganz viele Menschen auf den Balkonen. Einige Kunden des kleinen Einkaufszentrums hatten den Alarm sicher auch mitbekommen. Nein, ich wäre der einzige Anrufer gewesen, was mich wundert. Hätte ich nicht die Polizei angerufen, dann hätte niemand es
getan, und das nach über 5 Minuten ohrenbetäubendem Alarm. Ich frage mich: Was nützt eine Alarmanlage, die alle nur nervt, aber niemanden alarmiert? Sicherheitstechnik hat häufiger ihre Macken. Sicherer macht sie uns allerdings selten. Die zunehmenden Überwachungskameras in der Stadt verunsichern mich eher, obwohl sie doch eigentlich unserer Sicherheit dienen sollen. Und das nicht unbedingt, weil ich es unangenehm finde, überall gefilmt zu werden, sondern weil die Hälfte von ihnen kaputt ist. Nicht zu wissen, ob ich gerade gefilmt werde oder nicht, das verunsichert mich.
Auch im Straßenverkehr schafft vieles Verunsicherung, was angeblich der Sicherheit dient. Man will als Fußgänger bei grün eine Straße überqueren und wird beinahe von rechtsabbiegenden Autos überfahren, die auch grün haben. Zum Glück bin ich schon lange in Mainz beheimatet und kenne mich sowohl zu Fuß, als auch mit dem Fahrrad oder dem Auto aus. Noch viel verrückter finde ich die Menschen, die an der Kreuzung stehen und nur noch auf die Ampel schauen. Bei grün gehen sie dann los, ohne auch nur einmal um sich zu blicken. Diese Menschen stehen oft minutenlang an einer völlig unbelebten Kreuzung, starren gebannt auf das Ampelmännchen und gehen bei grün los, während plötzlich von rechts abbiegende Autos heranbrausen. „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“, dieser Spruch stammt angeblich von Lenin. Nun wird klar, warum der sowjetische Sozialismus scheitern musste – je mehr man kontrolliert, desto unkontrollierbarer wird alles. Je mehr Sicherheitstechnik im Einsatz ist, desto mehr Unsicherheitsfaktoren werden dadurch geschaffen. Und auch der biometrische Personalausweis wird uns nicht weiterbringen. Wenn eine Alarmanlage tutet, denken trotzdem alle nur: Bääh, wie nervig, hoffentlich hört das Getute bald auf. Und ich werde wieder mal der Einzige sein, der die Polizei rufen wird …
November 2010
Beinahe wäre ich achtlos an dem Plakat vorbeigegangen, aber die drei Worte passen nicht zusammen: „Laufen, Walken, Wandern“, drei mir wohl bekannte deutschsprachige Begriffe. Worum mag es gehen? frage ich mich. „Laufen“ und „Wandern“ bezeichnen Fortbewegungsarten, „Walken“ bedeutet soviel wie „Durchkneten“, und das irritiert mich. Ich stelle mir eine neue Sportart vor, bei der man erst 10 Kilometer läuft, dann irgendetwas durchknetet und anschließend noch ein wenig wandert. Verwundert gehe ich weiter, und erst später dämmert es mir, dass mit „Walken“ gar nicht das deutsche, sondern das englischsprachige „Walken“ gemeint sein könnte. Mein Problem ist, dass meine Muttersprache Deutsch ist und mein Wortschatz größer als der eines dreijährigen Kindes. Das sind heutzutage schlechte Voraussetzungen, um irgendetwas richtig zu verstehen. Wenn deutsche und englische Begriffe wahllos gemischt werden, kommt es rasch zu Missverständnissen. So gibt es in Mainz mehrere Bäcker-Selbstbedienungsläden mit dem Namen „Backfactory“, ein offensichtlich englisches Wort, das übersetzt „Hinternfabrik“ heißt. Appetitlich ist das nicht. Wer will schon Brot essen, das aus einem Hintern kommt? Gemeint ist aber wohl das deutsche „Back“, kombiniert mit dem englischen Wort „factory“. Wunderlich ist auch der Name eines Autohändlers, den ich kürzlich auf der Rückseite eines Autos gelesen habe. „Car-Ass“ stand da, auf gut deutsch „Wagen-Arsch“, und ich frage mich, wie es zu solchen Ausfallerscheinungen kommen kann. Die einzige Erklärung ist, dass die Erfinder solcher Namen weder die deutsche noch die englische Sprache beherrschen. Wieso aber bekommen ausgerechnet Analphabeten den Auftrag, Firmennamen zu erfinden oder Plakate zu gestalten? Nun möchte ich hier nicht über den Verfall der deutschen Sprache lamentieren. Sprache entwickelt und verändert sich. Neue Worte tauchen auf oder werden aus anderen Sprachen übernommen. Das ist ganz natürlich und ein Zeichen von Lebendigkeit. Wenn ich aber fünf Minuten brauche, um ein Plakat mit nur drei Begriffen – Laufen, Walken, Wandern – zu entschlüsseln, wenn ich in einem babylonischen Sprachgewirr einfachste Botschaften nicht mehr verstehe, dann finde ich das erschreckend. Vielleicht ist das alles aber auch ganz anders gemeint: Vielleicht nimmt die „Backfactory“ (Hinternfabrik) als Firmenname Bezug auf einen traditionellen Mainzer Aus- zählvers, den früher Kinder in der Neustadt aufsagten. Ein Kollege, in den 40ern in Mainz geboren, brachte ihn mir vor einigen Tagen bei: „Drunne an de Eck – wohnt de Bäcker Beck – streckt sein Arsch zum Fenster raus – määne d‘Leid des wär ä Weck – kommt e Kind gelaafe – will de Weck glei kaafe – zieht de Beck sein Arsch enei – un sacht de Weck is mei“. Wer genaueres über den Zusammenhang der „Backfactory“ mit diesem alten Kindervers weiß, soll sich bitte bei der Redaktion melden. Ich erkundige mich in der Zwischenzeit, ob es eine neue Sportart gibt, bei der man zwischen Laufen und Wandern irgendetwas durchknetet.