Archiv für Kategorie „Sensor Kolumnen“

November 2011

Wir leben in einer verrückten Zeit. Die einen reden vom Klimawandel wegen zu viel Kohlendioxid, die anderen von Chemtrails oder den Bilderbergern. Vieles ist widersprüchlich, und man weiß nicht, was nun stimmt und was nicht. So kommt es, dass in den USA inzwischen mehr als ein Drittel der Bevölkerung glaubt, dass die Mondlandungen Fälschungen waren.

Nebenbei erfährt man, dass in biogenetischen Laboren mehr als 150 chimärenhafte Mensch-Tier-Kreuzungen darauf warten, auf die Erde losgelassen zu werden, oder dass eine neue Monsterdroge namens Krok Süchtige in verfaulende Zombies verwandelt. Solche Nachrichten sind derart beunruhigend, dass wir sie am besten ausblenden, um keine Depressionen zu bekommen. Werden die entsprechenden Themen erst mal durch die Propagandamaschine gespült, dann können die widersprüchlichsten Aussagen plausibel erscheinen. Plötzlich wundert sich der Nachrichtenkonsument darüber, dass die Zahl der Milliardäre während der Finanzkrise stark gestiegen ist, obwohl das doch eigentlich auf der Hand liegt. Oder man glaubt, dass eine Steigerung der Arbeitszeiten die allgemeine Arbeitslosigkeit senken kann.

Wir können uns natürlich politisch engagieren. Da man nach mehreren Regierungswechseln langsam das Vertrauen in den Parlamentarismus verliert, sollen es die Bürgerbewegungen richten. Das Volk soll selbst entscheiden, von direkter Demokratie ist die Rede. Allerdings ist das Volk unter dem Einfluss von Massenmedien schnell bereit, für Zwangsimpfungen, Lohnkürzungen oder die Abtreibung Behinderter zu stimmen.

Die einen glauben, dass es einen Klimawandel gibt und dass CO2 der Auslöser ist, die anderen glauben, dass der Klimawandel ein Schwindel ist, um die globale Industrialisierung zu kontrollieren. Wieder andere glauben an den Klimawandel, vermuten den Auslöser aber nicht in unseren Abgasen, sondern in militärischen Aktionen. Je nachdem, welche Meinung mehrheitsfähig ist, geht die Welt entweder unter oder die Menschheit gedeiht in Frieden und Fortschritt.

Sollen wir nun gar keine Wahrheiten mehr anerkennen? Sollen wir überhaupt noch eine Partei wählen, und wenn ja welche und warum? Ist die Erde noch zu retten, oder ist sie gar nicht bedroht? Waren wirklich Menschen auf dem Mond, und wenn ja, was hatten sie dort zu suchen? Sicher können wir unserem gesunden Menschenverstand vertrauen, aber was ist, wenn es gar keinen gesunden Menschenverstand gibt? Dann wäre auch diese Kolumne, die ja ein Ausdruck meines Verstandes ist, unsinnig, irreführend und verrückt. Seien Sie also vorsichtig, während Sie diesen Text zu Ende lesen: Wer weiß, auf welchem ideologischen Glatteis Sie nun wieder gelandet sind …

Oktober 2011

Der Bau eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße spaltet momentan die Mainzer. Die einen, nämlich die Bürger und viele Geschäftsleute, wollen das gar nicht, die anderen, also die Politiker, wollen das Bauprojekt unbedingt durchdrücken. Das größte Interesse daran hat die Spekulanten-Firma ECE. 90 neue Ladengeschäfte sollen entstehen, damit Mainz als Einkaufsstadt im Wettbewerb mit Paris, London und New York nicht ins Hintertreffen gerät. Ich selbst bin noch unentschlossen, was ich davon halten soll. Natürlich bin ich dagegen, dass etwas gebaut werden soll, das diesen englischen Namen „Mall“ bekommen soll, einfach weil ich keine Anglizismen mag. Würde das Ding „KaufdichtotZentrum“ heißen, dann fände ich es gut, und es bekäme meine volle Unterstützung. Da ich nur ein paar Straßen weiter wohne, könnte ja auch der eine oder andere Laden dabei sein, der mich verlockt, dort mit meinem üppigen Kolumnen-Honorar einkaufen zu gehen, was ja heutzutage „shoppen“ heißt. Da ich aber nicht in einer Mall shoppen möchte, einfach weil mir das zu englischsprachig ist, bin ich dagegen.

 

90 neue Ladengeschäfte sind ganz schön viele, und eigentlich ist jedem sofort klar, dass dafür irgendwo anders 90 Geschäfte schließen müssen, weil die Mainzer Bürger nicht unendlich viel Geld zur Verfügung haben und es sich nicht rechnet, wenn es mehr Friseurläden in einer Stadt gibt als Frisuren. Das ist auch den Planern klar, und sie haben deshalb das „Tripol-Konzept“ entwickelt. Zwischen Brand, der Römerpassage und dem Kaufdichtot-Zentrum in der Ludwigsstraße soll sich das geschäftige Treiben abspielen. Da können dann die Gaustraße, das Bleichenviertel und die Neustadt gern veröden. Das Fort Malakoff ist ohnehin schon abgeschrieben.

 

Nun kann ich mir nicht vorstellen, dass die Planer eines solch großen Projektes völlig verblödet sind und nicht wissen, dass man weniger Läden als Kunden braucht, damit der Umsatz stimmt. Also vermute ich, dass etwas ganz anderes dahintersteckt. Bösartige Gegner des Kaufdichtot-Zentrums behaupten, es handle sich um reine Spekulation. Durchgeknallte, süchtige Zocker spekulieren auf Gewinn durch Schulden, was ja der einfachste Gewinn ist, weil man schneller Schulden macht als Waren verkauft. Die Betreiber kaufen das Grundstück, bauen das Kaufdichtot-Zentrum, verkaufen alles mit Gewinn und hinterher sind alle pleite, was gleichbedeutend ist mit Gewinn, zumindest aus der Sicht eines süchtigen Zockers.

 

Ich vermute mal, dass diese ganze unausgereifte Idee des Tripol-Konzepts sowie des städtischen Wettbewerbs dazu führen wird, dass sowohl die „Mall“ zur Hälfte leer stehen, als auch die Leerstände von Ladengeschäften in den Randgebieten zunehmen wird, wozu bereits die Schillerstraße und die Altstadt gehören. Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht, immerhin sind die meisten Ladengeschäfte ebenerdig und lassen sich wunderbar zu rollstuhlgerechten Wohnungen umbauen. Und auch die Punks, die sich jeden Donnerstag am Höfchen treffen, würden sich über eine Winterresidenz freuen. 15.000 Quadratmeter leer stehende Ladenfläche würden reichen, um auch noch das nomadisierende Pengland aufzunehmen und dem Kunstverein Eisenturm angemessene Ausstellungsflächen zu bieten. Und auch die vor ein paar Jahren geschlossene alkoholfreie Gaststätte Senfkorn könnte direkt in der Innenstadt neu eröffnen. Der Rest des neu gebauten Leerstandes könnte in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden. Davon gibt es in Mainz nämlich definitiv zu wenig. Irgendwie habe ich aber Zweifel, dass die Spielsüchtigen von ECE so etwas im Hinterkopf haben. Dennoch hätte ich nichts gegen eine 5.000 Quadratmeter große Wohnung in der Ludwigsstraße mit Blick auf den Dom einzuwenden. 50 Quadratmeter würden mir übrigens auch schon reichen …

September 2011

Als mir neulich beim Zwiebelschneiden die Tränen kamen, wurde es mir plötzlich klar: Die Tränen waren Ausdruck meiner verdrängten Trauergefühle. Es war einfach grausam, wie ich die arme Zwiebel gnadenlos dahingemetzelt hatte. Wissenschaftliche Studien belegen tatsächlich, dass Pflanzen sensibel und reaktionsfähig sind. Außerdem haben sie eine Art Gedächtnis. Woher nehmen wir Menschen uns das Recht, diese empfindsamen Wesen in Massenpflanzenhaltung zu züchten, industriell zu ermorden und sie zu Kartoffelbrei oder anderen Perversitäten zu zerstampfen? Ich wurde sofort initiativ und begann, mich für Pflanzenrechte stark zu machen. Ich merkte allerdings bald, dass meine Mitmenschen noch nicht reif für dieses Thema sind. Aufklärende Gespräche an der Pommesbude um die Ecke über Pflanzenrechte brachten mir schnell Ärger ein. Als ich einige Veganer bei einem Straight-Edge-Konzert auf ihren fragwürdigen Karottenkonsum aufmerksam machte, hörte man mir einfach nicht zu. Und das war kein Einzelfall. Überall, wo ich über Pflanzenrechte diskutieren wollte, erntete ich bestenfalls mitleidige Blicke.

 

Tomatensalat ist Mord
Nun sitze ich hier und versuche, diese Kolumne für meine propagandistischen Zwecke zu benutzen. Aber ich fürchte, auch die sensor-Leser haben noch nicht verstanden, wie wichtig die Freiheit der Pflanzen ist. Zu tief verwurzelt sitzt der Glaube, dass wir Menschen die Herren über die Pflanzen sind und mit ihnen anstellen dürfen, was wir wollen. Vielleicht sollte ich Aufkleber produzieren mit markigen Sprüchen wie: Tomatensalat ist Mord! Lieber nackt als Baumwollhemden! Die Pommesbude ist ein Kartoffel-KZ! Den ethischen Zustand einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Pflanzen umgeht. Dazu schockierende Bilder, auf denen man sieht wie eine Kartoffel geschält oder eine Tomate zerhackt wird. Vielleicht wirkt das ja und ich gewinne einige Mitstreiter. Wir könnten die Pflanzen-Befreiungs-Front gründen und gequälte Rosen aus Parkanlagen befreien oder vor dem Weinbauministerium demonstrieren. Mit der entsprechenden Presse könnten wir schnell eine große Bereitschaft für die Pflanzenrechte in der Bevölkerung etablieren.

 

Was kann man noch essen?
Ich muss natürlich zugeben, dass Pflanzenrechte ein paar ethische Fragen aufwerfen. Wie sieht es zum Beispiel mit Euthanasie bei kranken, welken oder behinderten Pflanzen aus? Wann darf man die Präimplantationsdiagnostik bei Geranien anwenden, die unter Blumenlosigkeit leiden? Wenn Pflanzen dieselben Rechte wie Menschen haben: Was machen wir dann mit den faulen Menschen? Vielleicht sollte ich doch noch mal intensiver über Pflanzenrechte nachdenken, bevor ich meine Offensive starte. Immerhin könnte ich andere Menschen dazu verleiten, dann auch noch Tierrechte zu fordern, und dann hätten wir Probleme. Wenn nämlich nicht nur Pflanzen als empfindsame Wesen gelten, sondern auch noch Tiere: Was sollen wir dann essen? Blieben da noch die Pilze, die ja keine Pflanzen sind. Beim Pilzeschneiden habe ich schließlich noch nie geweint, das ist ein gutes Zeichen für deren emotionale Nichtbetroffenheit. Aber Pilze sind mitunter gefährlich. Die einen sind giftig, die anderen psychedelisch – ich bezweifle, dass Pilze als einziges Nahrungsmittel für mehr als 6 Milliarden Menschen das richtige sind. Meine Idee der Pflanzenrechte ist noch nicht ganz ausgereift, ich gebe es zu. Es war ein Fehler von mir, eine sensor-Kolumne damit zu füllen. Vielleicht kann ich noch etwas retten, indem ich die letzten Zeilen nutze, um Propaganda für die Menschenrechte zu machen. Menschen sollen ja auch empfindsame Wesen sein. Es gibt viele wissenschaftliche Studien, die das belegen.

Juli 2011

Neulich habe ich in der Bücherkiste vor der Volkshochschule ein Buch gefunden. Darin ging es um Atombombentests im Van-Allen-Gürtel. Der Van-Allen-Gürtel, ein magnetischer Schutzschild um die Erde, ist seit den 60er Jahren angeblich dreimal so radioaktiv wie vorher, wegen der Atombombentests. Was das für Auswirkungen auf die Erde hat, das verrät das Buch leider nicht. Meine Recherchen im Internet liefern mir hübsche Bilder vom Van-Allen-Gürtel, als ob es tatsächlich solche Bilder geben könnte, und schon glaube ich, etwas zu wissen. In einem Zeitungsartikel lese ich et- was über Cern und Desy. Das sind Institute, die ihre Zeit damit verbringen, kleinste Teilchen durch kilometerlange Tunnels zu schießen. Angeblich macht man das wegen der Quantenphysik, und um ein schwarzes Loch zu erzeugen. Das soll ich dann glauben und gut finden. Da ich nicht weiß, wozu ich ein schwarzes Loch brauche, versuche ich seitdem, mir zu diesem Thema Wissen anzueignen. Irgendwie klappt es aber nicht. Ich verstehe einfach von zu vielem zu wenig. Auch der Mainzer Wissenschaftsmarkt macht mich nicht schlauer. Ich werde mit Wissen überhäuft und glaube, etwas verstanden zu haben. Irgendwo kann man in einem großen Hirn herumlaufen und schlaue Tafeln lesen. Fragen wie „Ist ein moralisches Verhalten angeboren?“ klingen furchtbar schlau. In Wirklichkeit interessiert mich aber das Hirn gar nicht, ich suche den nächsten Bre- zelstand. Die Mainzer Brezel ist mir nämlich immer noch lieber als ein großes, begehbares Plastikhirn. Beim Blick in das Programm erfahre ich von einer Wissensveranstaltung, bei der es um die ersten Menschen auf dem Mond geht. Dabei fällt mir ein Buch ein, das ich auch in einer Bücherkiste gefunden habe. Daraus habe ich erfahren, dass niemals Menschen auf dem Mond waren, und dass viele Menschen das glauben oder gar wissen. Die glauben, dass die Apollo-Mission eine Inszenierung war. Deshalb wissen sie, dass die anderen sich irren und quasi fälschlicherweise glauben, dass Menschen auf dem Mond waren. Das ist ziemlich verwirrend mit dem Glauben und dem Wissen. Man kann zum Beispiel Falsches oder Richtiges glauben oder wissen, dann noch Glauben und Wissen verwechseln und schon hat man ein schwarzes Loch im Klo oder Personen statt Menschen. Was soll ich jetzt von dieser Apollo-Inszenierung halten? Wem soll ich glauben und was darf ich dann wissen? Die Veranstaltung über die Mondlandung habe ich verpasst und das dubiose Buch schon längst wieder in so eine öffentliche Bücherkiste gestellt. Schon weiß ich gar nichts mehr. Auch andere Themen huschen vorbei, zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik. Irgendjemand möchte industriell Embryonen anfertigen. Das klingt eklig und erinnert mich an das schwarze Loch, das ich auch nicht haben will. Wenn ich will, dann kann ich alles darüber wissen, besser gesagt „Wissen erfahren“, aber das macht es irgendwie nicht netter. Mir ist das Thema zu scheußlich und ich finde endlich einen Brezelstand. Beim Brezelessen studiere ich das Programmheft des Wissensmarktes genauer. Der Van-Allen-Gürtel wird nicht erwähnt, die Mondlandung hab ich verpasst, die Züchtung der neuen Herrenrasse ist erst morgen – über das schwarze Loch könnte ich noch was erfahren. Aber ich weiß gar nicht, ob ich es wissen will. Wissen muss man doch auch irgendwie glauben können, sonst nützt es nichts. Und was nützt es mir zu glauben, dass ich ein schwarzes Loch brauche? Das ganze Wissen rauscht so an mir vorüber und ich weiß nicht, ob ich alles glauben will – oder ob ich lieber der Brezel vertrauen soll. Vielleicht befindet sich in meinem Bauch ja ein gefährliches schwarzes Loch, und nur die Brezel oder die Evolutionsbiologen können mich davor retten. So habe ich mich heute für die Brezel entschieden. Ich glaube ich weiß, dass ich meinem Bauch vertrauen kann. Das Buch über die Atombombentests im Van-Allen- Gürtel bring ich dann morgen wieder in eine öffentliche Bücherkiste. Ob ich damit wohl Glauben oder Wissen verbreite? Oder beides?

Juni 2011

Es gibt ja jetzt diese neuen Personalausweise, die ganz großartig sind, weil sie uns vor Terroristen schützen. Und da mein Personalausweis bald ungültig wird, muss ich einen neuen beantragen, dazu bin ich per Gesetz verpflichtet. Davon abgesehen, dass das Ding sauteuer ist und fast das Honorar für diese Kolumne verschlingt, glaube ich nicht, dass dadurch mein Leben wirklich sicherer wird. Außerdem befremdet es mich, dass ich durch diesen Ausweis zum Personal eines Staates gehöre, wenn man bei der Bundesrepublik Deutschland überhaupt von einem Staat sprechen kann. Angeblich ist sie ja gar kein Staat, sondern eine Firma, eingetragen als GmbH im Handelsregister. Ich möchte nicht zum Personal der BRD gehören, sondern viel lieber Staatsbürger sein. Personen sind ja sowieso ziemlich zweifelhaft. Spätestens seit ich mich mit dem australischen Faschisten Peter Singer beschäftigt habe, ist mir klar, dass ich keine Person sein will, sondern ein Mensch. Dieser Peter Singer, der in Australien als Ethik-Professor dozieren darf – man mag das Wort „Ethik“ kaum auf ihn anwenden – vertritt Ansichten, die man als faschistisch bezeichnen muss. Zum Beispiel plädiert er dafür, dass Eltern ein Tötungsrecht an ihren Kindern haben und setzt sich dafür ein, dass behinderte Neugeborene sofort beseitigt werden. Sein Grundgedanke ist, dass die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch kein Lebensrecht garantiert. Dazu führt er den Begriff der Personalität ein, die er für wichtiger erachtet als Menschlichkeit. Und Personalität können zum Beispiel auch gesunde Tiere haben, im Gegensatz zu kranken oder behinderten Menschen. Wenn ein geisteskranker Spinner wie Peter Singer Menschen durch Personen ersetzen will, dann muss das Gegenteil richtig sein. Also sollten wir anfangen, Personen durch Menschen zu ersetzen. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der es keine Personen mehr gibt, sondern nur noch Menschen. Auch in den Betrieben gibt es Menschen statt Personal. Ich glaube, eine Gesellschaft ohne Personen wäre einfach menschlicher. Noch gruseliger sind Privatpersonen. Privat stammt vom lateinischen „privare“ ab, was so viel bedeutet wie stehlen oder rauben. Im römischen Imperialismus ging es darum, dass Kriegsbeute privatisiert, das heißt, Diebstahl an anderen Ländern für rechtmäßig erklärt wurde. Etwas Ähnliches geschieht, wenn heutzutage Volkseigentum privatisiert, also dem Volk gestohlen wird. Somit ist eine Privatperson das Gegenteil von einem selbstbestimmten Menschen, nämlich ein fremdbestimmter Sklave. Das klingt nicht nett und bestärkt mich in meiner Idee, alle Personen durch Menschen zu ersetzen. Man sollte auch einmal darüber nachdenken, wozu jemand Privateigentum braucht, wo doch Eigentum viel netter ist, wenn es nicht gestohlen wurde. Nun nützt mir das alles gar nichts, wo ich doch bald einen neuen Personalausweis beantragen muss. Interessant ist, dass ich gar nicht der Eigentümer dieses Ausweises bin, sondern die BRD. Fragt sich nur, warum ich dann das Ding für teuer Geld bezahlen muss, wenn ich gar keine Eigentumsrechte daran habe, und das Ganze ist auch noch gesetzlich verpflichtend. Mir gefällt das nicht, ich hätte viel lieber etwas, das mich als Staatsbürger ausweist, oder noch besser als Mensch, und das mir auch gehört und nicht einer Firma, die sich BRD nennt und mich zur Person erklärt. Denn dadurch werde ich gezwungen, eine vorgegebene Rolle zu spielen, und es steht im krassen Gegensatz zu meinen Grundrechten wie die Freiheit, meinen Wohnort oder meinen Beruf selbst wählen zu dürfen. Übrigens glaube ich nicht, dass mich der neue Personalausweis wirklich vor Terroristen schützt oder mein Leben sicherer macht. Professionelle Verbrecher werden den eingebauten Chip einfach umprogrammieren oder andere Wege finden, den Ausweis zu manipulieren. Da ich Idealist bin und an das Gute im Menschen glaube, bin ich davon überzeugt, dass wir auch mehr Sicherheit erlangen, wenn wir damit aufhören, Personen zu sein, um endlich Menschen zu werden. Mal sehen, was man im Bürgeramt dazu sagt, wenn ich einen Ausweis für mich als Mensch beantrage und das Ding nur dann bezahle, wenn es mir auch gehört.

Mai 2011

Jedes Mal ärgere ich mich, wenn ich vor dem Mainzer Hauptbahnhof einen Sitzplatz suche, denn es gibt dort keine Sitzplätze. Auch im Bahnhof selber sind Sitzbänke Mangelware. Wenn ich richtig gezählt habe, dann befinden sich dort Sitzmöglichkeiten für insgesamt 12 Menschen, 4 davon müssen über dem Frittierfett von McDonald‘s entspannen. Im Innenstadtbereich sieht es nicht viel anders aus. Auf dem großen Domplatz gibt es Sitzgelegenheiten für 8 Menschen, die Ludwigstraße lädt ebenfalls zum Eilen statt Verweilen ein, selbst in der Römerpassage können sich kaum mehr als 4 Leute gleichzeitig ausruhen. Gemütlich ist das nicht, und ich glaube nicht, dass ich der Einzige bin, der sich zwischen Einkäufen, Bratwürsten und sonstigen Erledigungen in der Stadt gern mal einen Moment hinsetzen möchte. Immer häufiger sehe ich auch zwei parallele Betonträger, auf die eigentlich eine hölzerne Parkbank gehört, und die ohne diese Bank komplett nutzlos sind und nicht repariert werden. Wer oder was mag hinter diesen Maßnahmen zur Verhinderung öffentlichen Sitzens stecken? Ich habe dazu verschiedene Verschwörungs- theorien entwickelt, die aber alle irgendeinen Haken haben:

1. Die Rollstuhlfahrermafia
Die Theorie: Um bei nichtbehinderten Läufern den Wunsch zu erwecken, immer einen eigenen Stuhl dabei zu haben, werden systematisch öffentliche Sitzgelegenheiten entfernt. Gleichzeitig tauchen in der Stadt immer mehr Rollstuhlfahrer auf, die den Eindruck erwecken sollen, dass es gar kein Problem ist, irgendwo in der Stadt gemütlich herumzusitzen – allerdings nur, wenn man einen eigenen Rollstuhl dabei hat. Der Haken: die Rollstuhlfahrer nehmen nicht kontinuierlich zu. Außerdem gibt es immer noch zu viele Geschäfte oder Cafés, in die man mit Rollstuhl nicht hineinkommt. Und die Senkung der Hartz-4-Sätze für einen Teil der Behinderten spricht deutlich gegen eine mächtige Rollstuhlfahrerverschwörung

2. Militante Veganer
Die Theorie: Sitzbänke im Innenstadtbereich werden demontiert oder in un- gemütliche Ecken verbannt. Damit wird den Kunden von Wurstbratereien der Genuss von Bratwürsten erschwert. Das Ziel ist, dass alle Mainzer Bürger auf den Genuss von Bratwürsten komplett verzichten und nur noch zu Hause Kuskus mit Roter Soße verzehren. Der Haken: Auch die eigentlich vegane Brezel muss im Stehen gegessen werden. Und zu Hause können sich die Leute immer noch Würste braten, so viel sie wollen. Außerdem erklärt es nicht das Verschwinden von Parkbänken.

3. Die CIA
Die Theorie: Das Ganze ist Teil eines großangelegten MK-Ultra Programms. Die Entfernung von öffentlichen Sitzmöglichkeiten soll in uns ein Gefühl der Heimatlosigkeit bei gleichzeitiger Rastlosigkeit auslösen. Durch die zunehmende soziale Isolation fühlen wir uns nur noch zu Hause wohl. So werden wir offen für die Propaganda von Micky Maus und Waschmittelwerbung. Der Haken: Bewusstseinskontrolle kann man auf viel einfachere Art erlangen. Auch sonst ist die Theorie unstimmig: Durch die vielen Überwachungskameras sowie den Einsatz von Ultraschall-Systemen wie Mosquito kann man Menschen viel besser steuern und kontrollieren. Das spräche eher dafür, dass der CIA mehr öffentliche Sitzgelegenheiten schaffen, diese aber besonders überwachen würde. Steckt am Ende etwas ganz anderes dahinter? Vielleicht der Wunsch, öffentliche Plätze immer weiter zu privatisieren, sprich der Öffentlichkeit zu entziehen? Oder soll einfach nur die Not von wartenden und erschöpften Menschen ausgenutzt werden, die sich nur dann ausruhen können, wenn sie in einem Café Platz nehmen und Geld bezahlen? Das kommt mir doch zu einfach vor. Außerdem ist es doch auch für die anderen Ladenbesitzer auf Dauer eher schädlich, wenn ihre Kunden vor lauter Erschöpfung gar nicht erst bei ihnen ankommen. Es bleibt also weiterhin rätselhaft, wer hinter dem Verschwinden der öffentlichen Sitzplätze steckt. Meine Meinung ist, dass es sowohl die Rollstuhlfahrermafia als auch militante Veganer und der CIA sind. Mit dieser Meinung stehe ich wahrscheinlich alleine da, was aber egal ist, weil schließlich Alle dastehen, auch diejenigen mit anderen Meinungen – mangels Sitzplätzen.

April 2011

Ob Winterhafen oder Zollhafen, Gaustraße, Dalberger Hof oder Neutorschule – überall kommt man auf dieselbe Idee: Man will schicke teure Luxuswohnungen schaffen und an finanzkräftige Privatiers verkaufen. Zum Schluss wohnen überall in Mainz nur noch reiche Leute in schmucken Eigentumswohnungen. Die vielen Reichen locken edle Schmuckgeschäfte, Galerien und teure Boutiquen an. Die Innenstadt floriert, die Touristen sind begeistert und Mainz wird reicher, schmucker und sauberer als die Schweiz und Liechtenstein zusammen. Von dem angesiedelten Reichtum profitieren schließlich alle, auch die Armen, die inzwischen geballt im Komponistenviertel auf dem Lerchenberg zusammengepfercht wurden. Die sind dann auch weniger arm, weil in den Bussen der Linien 54 und 70 immer ein bisschen Geld liegenbleibt, und alles ist gut. An sich keine schlechte Idee, die aber nicht funktionieren kann. Das Ganze erinnert stark an die Cargo-Kulte Melanesiens. Die Südsee-Insulaner, begeistert von der westlichen Technik, schnitzten sich Radios aus Holz, stöpselten sie mit Lianen an irgendwas an und warteten, dass die Ahnen aus den Radios zu ihnen sprechen. Die Idee war toll, aber es klappte nicht und obwohl sie doch alles richtig gemacht hatten: Die „Radios“ blieben stumm. Elektrizität war ihnen unbekannt. Der Fehler konnte nur religiöser Natur sein, also entwickelten sie neue Kulthandlungen, um ihrem „Radio“ eine Stimme zu entlocken. Auch den Mainzer Städteplanern ist wohl einiges unbekannt. Die Insolvenztempel, die den ganzen Innenstadtbereich säumen, sind stumme Zeugen typischer Cargo-Kult-Handlungen. Man baut schmucke Ladengeschäfte, füllt sie mit Waren und Verkaufspersonal, plant ein bisschen Gastronomie dazwischen, alles ganz praktisch unter einem Dach, und schon florieren die Geschäfte. Doch am Ende hat man ein leer stehendes Altmünstercenter, eine rattenverseuchte Lotharpassage, die ebenfalls leer steht und einen sich immer weiter leerenden Malakoff-Park. Lediglich die Römerpassage scheint zu funktionieren. Die war allerdings schon vorher eine beliebte Einkaufsstraße. Was die Planer offenbar nicht wissen: Man braucht Menschen, die ständig die ganzen Waren kaufen, in den Kneipen und Cafes rumsitzen und genug Geld in der Tasche haben, um alles zu bezahlen. Ähnlich verhält es sich mit den schicken Eigentumswohnungen, die – wohin man auch blickt – entstehen sollen. Niemand scheint sich zu fragen, woher die vielen reichen Leute kommen sollen, die sich bald am Mainzer Rheinufer und anderswo ansiedeln. Wenn die alle nach Mainz kommen, dann fehlen sie ja auch woanders. Wird dann Baden-Baden verarmen? Trotzdem ist die Grundidee verlockend. Die Flächen am Rheinufer werden mit teuren Luxuswohnungen bebaut und man kann ja noch eine künstliche Rheininsel in Form einer Brezel anlegen, um die Scheichs aus Dubai anzulocken. Bald geht es in Mainz zu wie in St. Moritz, die Reichen geben ständig ihr ganzes Geld am Ditsch-Stand aus, die Gewerbesteuer-Einnahmen sind so hoch, dass Mainz endlich außer der Fassenacht noch andere künstlerische und kulturelle Initiativen fördern kann … das wärs doch. Aber es bleibt doch ein Cargo-Kult. Und die Cargo-Kulte haben ja etwas Tragisches an sich, zumindest in der Südsee, weil das Neue nicht funktioniert, aber gleichzeitig das alte Wertesystem zerfällt. Und viele traditionelle Mainzer Kulte wären bedroht: Wer weiß, ob die schönen Reichen Interesse haben an der Fassenacht, an den 05ern oder am Mantelsonntag? So gesehen können wir froh sein, dass Cargo-Kulte ergebnislos sind, dass die erwarteten Effekte nicht eintreten, dass also Mainz Mainz bleibt. Das neue Wertesystem könnte die Stadtplaner sich darauf besinnen lassen, Mainz noch angenehmer zu machen, zum Bei- spiel für Kinder, Fahrradfahrer oder Behinderte. Da gibt es noch einiges zu tun, was die Stadt wirklich aufwerten würde.

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